Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

Norbert Bolz im Interview: „Mit Woken zu reden ist nicht nur Unsinn. Es ist gefährlich“

Norbert Bolz im Interview: „Mit Woken zu reden ist nicht nur Unsinn. Es ist gefährlich“

Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz sehnt sich nach Normalität. Es wird nicht mehr lange dauern, meint er. Denn wir stehen „an der Schwelle zum Wandel“. Ein Gespräch.

Norbert Bolz, Medien- und Kommunikationstheoretiker sowie Buchautor, lehrte bis 2018 als Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin.Anikka Bauer

Erst wurde gestritten. Dann geschwiegen. Ob beim Genderstern, der Migrationskrise oder dem Klimawandel – nun wird sortiert. In Zugehörige und Abweichler. Wer nicht mitmacht, gilt schnell als rückständig. Wer widerspricht, ist gefährlich. Aber was ist, wenn beides stimmt? Wenn der gesellschaftliche Bruch, den wir erleben, gar kein Fortschritt ist, sondern Ausdruck einer fundamentalen Erschütterung, die uns zurückführt? Zurück zur Normalität.

Geht es nach dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz, dann befinden wir uns am Anfang vom Ende. Dem Ende dessen, was der Medienwissenschaftler eine „Kulturrevolution der Woken“ nennt. Und was folgt? Laut Bolz eine skeptische Generation, die mit glutroten Wetterkarten, Voodoo-Science und Überempfindlichkeit Schluss macht. Im Interview mit der Berliner Zeitung spricht Bolz über sein neues Buch „Zurück zur Normalität“, über die bröckelnde woke Hegemonie und darüber, warum man mit manchen Menschen nur reden sollte, wenn man sich aktiv in Gefahr bringen will.

Herr Bolz, wie wütend waren Sie, als Sie das erste Kapitel Ihres neuen Buchs geschrieben haben?

Wütend? Nein. Diesen Eindruck wollte ich nicht erwecken. Ich habe das alles mit großem Abstand geschrieben. Die Dinge, die ich beobachte und analysiere, sind nicht neu – sie beschäftigen mich seit Jahren. Einer der Hauptimpulse für dieses Buch war der Wunsch, zu zeigen, wie lange das, was wir heute erleben, bereits im Entstehen begriffen ist. Ihren Eindruck nehme ich mir zu Herzen. Er zeigt mir, dass ich wohl noch viel kühler und distanzierter schreiben muss.

Wut ist nicht zwingend etwas Negatives. Sie kann auch zeigen, dass Ihnen etwas an den Themen liegt, die Sie analysieren. Lassen Sie mich meinen Eindruck anhand zweier Formulierungen von Ihnen präzisieren: „Die bürgerliche Gesellschaft befindet sich im Zangengriff“ und „die geistig obdachlosen Linken“.

Diese Beispiele entspringen einem anderen Temperament, als Sie es offenbar wahrgenommen haben. Der Begriff „Zangengriff“ bezieht sich auf die Hauptthese des Buches – und auch nach reiflicher Überlegung halte ich ihn für treffend. Was die „geistige Obdachlosigkeit“ betrifft: Dieser Ausdruck stammt ursprünglich von Georg Lukács, genauer gesagt aus seiner „Theorie des Romans“. Seine Diagnose der Moderne steht unter genau diesem Begriff.

Wie gesagt – es könnte ja sein, dass Ihnen die Themen, über die Sie schreiben, am Herzen liegen. Dann wird es mitunter auch emotionaler.

Nicht einmal da würde ich Ihnen zustimmen. Mir liegt das nicht am Herzen. Wenn dem so wäre, müsste ich in die Politik gehen. Mein Interesse gilt der Analyse – und die kann scharf, mitunter vielleicht sogar überscharf ausfallen, wenn ich den Eindruck habe, es werden Nebelbomben geworfen, um die Menschen einzulullen.

Also alles frei von Emotionen?

Was Sie als Wut empfinden, hat seinen Ursprung darin, dass ich die Politik der vergangenen Jahrzehnte – die heute oft als „links-grün“ bezeichnet wird – für verheerend halte. Diese Politik zerstört unsere Gesellschaft, und das nicht nur in Deutschland. Es stimmt: Ich blicke nicht vollkommen neutral auf die Welt. Ich habe das Gefühl, dass es Kräfte gibt, die tatsächlich zerstörerisch wirken – und die muss man benennen. Mich treibt dabei nicht die Hoffnung an, dass sich alles zum Guten wenden wird.

Sondern?

Mein Motiv zu schreiben – abgesehen davon, dass ich gerne Geld verdiene – ist der Wunsch, mir über die Dinge, die mich interessieren, selbst Klarheit zu verschaffen. Und ich möchte Menschen, die ähnlich empfinden wie ich, eine argumentative Stütze bieten.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie die heutige Kultur als die „anstrengendste aller Zeiten“, sprechen zugleich aber vom Beginn eines „Zeitalters des gesunden Menschenverstandes“. Was lässt Sie glauben, dass wir ausgerechnet jetzt in eine solche Phase eintreten?

Ganz einfach: Ich gehe davon aus, dass diese Kulturrevolution der Woken derart auf die Spitze getrieben wurde, dass wir jetzt vor einer Implosion stehen. Über Jahre hinweg hat die Wokeness von oben durchgegriffen. Das hat funktioniert. Der Terror war effektiv. Inzwischen aber gibt es immer mehr Menschen, die sich darüber lustig machen, die zu all den Ritualen, die damit verbunden sind, Distanz gewinnen.

Von welchen Ritualen sprechen Sie?

Ein Beispiel wäre das Gendern. Früher hat man die Faust in der Tasche geballt, heute lacht man diejenigen aus, die weiterhin daran festhalten. Selbst Unternehmen verabschieden sich von diesen woken Konzepten. In den USA hat Donald Trump dem Ganzen ein Ende gesetzt, indem er an den Universitäten durchgreift.

Aber das wird ja nicht einfach hingenommen. Der Harvard University wurden zwar Gelder gestrichen, dennoch hält die Universitätsleitung an den bestehenden Konzepten und Regeln fest.

Selbstverständlich. Aber es sind nicht die Universitäten selbst, die sich wehren, sondern die sogenannten Voodoo-Sciences. Das ist bei uns nicht anders. Würde man hier ähnlich durchgreifen, gäbe es Massendemonstrationen. Viele leben vom Aktivismus, insbesondere die Studenten der Orchideenfächer. Der Rest kann darüber nur noch lachen. Die Hegemonie bröckelt. Auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sehe ich erste Vorzeichen davon.

Inwiefern?

Es wird hemmungslos um sich geschlagen. Selbst die Tagesschau, die ich noch vor ein paar Jahren als Flaggschiff moderner Information geschätzt habe, ist zu einer simplen Propagandasendung verkommen – von A bis Z. Nicht einmal die Wetterkarte kann man ansehen, ohne dass sie propagandistisch rot eingefärbt ist, mit Flammen oder Ähnlichem. Es wird immer absurder.

Norbert Bolz: „Nur wenn es eine stabile Grundlage gibt – eine Basis von Normalität –, können wir an bestimmten Stellen aus dieser Normalität ausbrechen.“
Norbert Bolz: „Nur wenn es eine stabile Grundlage gibt – eine Basis von Normalität –, können wir an bestimmten Stellen aus dieser Normalität ausbrechen.“Anikka Bauer

Wenn das neue Zeitalter, von dem Sie sprechen, anbricht, dann folgt ...

… die skeptische Generation. Diese jungen Menschen machen Erfahrungen mit den Folgen der Migrationspolitik und mit diesem Propaganda-Apparat. Ich bin überzeugt, dass wir an der Schwelle zu einem Wandel stehen.

Linke, Grüne und vermutlich auch Innenminister Alexander Dobrindt würden dem entgegenhalten, dass die heranwachsende Generation keine skeptische, sondern eine rechte Generation ist – zumindest mit Blick auf aktuelle Zahlen des BMI.

Eine skeptische Generation, wenn es sie gibt, ist keine, die sich demografisch erfassen lässt, im Sinne von: 80 Prozent aller Jugendlichen sind skeptisch. Nein. Diese Generation muss vielmehr die Schlüsselstellen unserer Gesellschaft dominieren – in der Politik, in den Medien, in den Wissenschaften. Früher war das so. Es gab Persönlichkeiten, die den öffentlichen Diskurs geprägt haben. Und zum Thema „rechts“: Bodo Ramelow sagte vor anderthalb Jahren den Satz: „Wir sind die Mitte der Gesellschaft.“ Wenn die Linke die Mitte ist, dann ist ja schon die SPD rechts.

Der Titel Ihres Buches lässt keine Zweifel offen – Sie wollen zurück zur Normalität. Andererseits schreiben Sie, dass die Erlösung aus dem heutigen Kulturkampf „im Bruch mit der Normalität“ liege. Wie passt das zusammen?

Da sprechen Sie einen entscheidenden Punkt an. In meinem Buch geht es unter anderem um den modernen Konservativismus – und um das weitverbreitete Missverständnis, Konservative würden sich nur am Alten festklammern. Das ist ein vollkommen überholter Blick. Die Formel von Joseph Schumpeter, die von der „schöpferischen Zerstörung“, unterschreibe ich zu hundert Prozent. Auch Arnold Gehlens Satz, dass Neuerung niemals aus der familiären Welt komme, halte ich für sehr klug, scharf und richtig.

Das heißt: Es geht nicht nur um das Festhalten am Alten oder um revolutionäre Veränderung – sondern um eine Mischung aus beidem? Ein Zurück und ein Bruch?

Ganz genau. Nur wenn es eine stabile Grundlage gibt – eine Basis von Normalität –, können wir an bestimmten Stellen aus dieser Normalität ausbrechen und etwas Neues versuchen. Hegel hat einmal gesagt: „Ich brauche meine Familie und ich brauche mein Bier, sonst kann ich keine neuen Gedanken entwickeln.“ Letztlich meint er damit: Nur in absoluter Sicherheit, im bürgerlichen Leben, hat man die Kraft und die Energie, Neues zu denken. Das gilt für das Denken ebenso wie für das Handeln. Ich habe in meinem Buch den Versuch unternommen, dieses falsche Urteil über den Konservativismus ein Stück weit zu korrigieren – und zu zeigen, wie ein moderner Konservativismus aussehen kann, der gerade am Neuen interessiert ist. Aber alles auf einmal lässt sich nicht ändern.

Nichts anderes als eine Form von Komplexitätsreduktion, wie Niklas Luhmann in den 1970ern treffend feststellte.

Absolut. Sie brauchen eine Schießscharte, durch die Sie Ihr Ziel ins Visier nehmen können. Sie brauchen diesen kleinen, klaren Ausschnitt. Alles andere bleibt, wie es ist. Nur an diesem einen Punkt arbeiten Sie sich ab. Schritt für Schritt. Ich wäre nicht so optimistisch, wenn wir nicht schon einmal erlebt hätten, dass das funktioniert – in den 1950er- und 1960er-Jahren.

Zwischen Kulturkritik und Konservatismus: „Es gibt so etwas wie Normalität.“
Zwischen Kulturkritik und Konservatismus: „Es gibt so etwas wie Normalität.“Anikka Bauer

Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie von Normalität sprechen? Etwa im Sinne von: „Früher war alles besser“ oder „Deutschland, aber normal“?

Obwohl man sich mit so einer Aussage sofort als hoffnungsloser Reaktionär outet, würde ich schon sagen: Ja – in einer bestimmten Vergangenheit war es besser.

Wann genau?

Zwischen dem Mauerfall und 9/11. Das war eine großartige Zeit. Eine erfolgreiche und glückliche Zeit. Und ich erinnere mich auch an meine Kindheit – an die späten 50er- und frühen 1960er-Jahre. Die Menschen waren zufrieden, die Wirtschaft funktionierte, und es herrschte eine echte Leistungsbereitschaft. Früher hat man sich gefreut, wenn man mit dem Zelt an die Riviera fahren konnte. Heute würde selbst ein Bürgergeldempfänger ablehnen und sagen: „Das ist unzumutbar und primitiv.“ Ich habe diese Zeit erlebt. Eine tolle Zeit. Und insofern weiß ich: Es gibt so etwas wie Normalität.

Droht die Berufung auf „Normalität“ aber nicht selbst zu einem normativen Machtinstrument zu werden – ganz ähnlich wie jene moralische Überhöhung, die Sie an der Wokeness kritisieren?

Nein, da gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die Normalen akzeptieren die Woken. Aber die Woken lassen die Normalen nicht so, wie sie sind. Die Normalen sollen, wenn es nach den Woken geht, ihr Leben ändern. Das gilt im Übrigen auch für die Regierungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Es wurde in alles hineinregiert – in Ernährung, Konsum, Lebensführung, Familienverhältnisse. Es gibt kaum noch einen Bereich, in den nicht hineingeredet wird. Die Privatsphäre ist praktisch abgeschafft. Und das ist das eigentliche Problem.

Neben diesem Hineinregieren beklagen Sie in Ihrem Buch auch einen Alarmismus, der uns in allen Lebensbereichen – ob Pandemie, Klima oder soziale Ungleichheit – in den „Zangengriff“ nimmt. Zugleich warnen Sie vor einem kulturellen Verfall. Begegnen Sie dem Alarmismus nicht selbst mit Alarmismus?

Probleme zu benennen, ist immer eine Frage des Vokabulars. Die Woken würden sagen: Das Kernproblem ist Rassismus. Die Grünen sagen: Das Kernproblem ist die Klimakatastrophe. Und die Rechten sagen: Das Kernproblem ist Islamismus oder Massenmigration.

Und was sagen Sie?

Ich würde sagen: Es ist sinnlos zu behaupten, es gäbe keinen Rassismus. Genauso wenig macht es Sinn zu sagen, es gäbe keinen Klimawandel. Die entscheidende Frage ist: Wie wird das Problem beschrieben und belegt? Wenn es um den Klimawandel geht, heißt es: Es ist zehn Sekunden vor zwölf – die Welt steht kurz vor dem Untergang. Das ist Alarmismus. Auf der anderen Seite wäre es genauso alarmistisch zu behaupten: Die westliche Welt ist bereits vollständig im Griff der Islamisten. Aber Sie haben natürlich recht, es ist immer eine Frage des Vokabulars und der Artikulation. Ich kann im Grunde nur versuchen, einen anderen Ton zu treffen, einen analytischeren, um nicht in dieses ewige Einerseits-Andererseits zu verfallen. Im Grunde gibt es nur Alarmisten. Rechts wie links. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich – wie viele andere Konservative – in der Massenmigration ein gravierendes Problem sehe.

Sehen Sie darin nur ein Problem, oder haben Sie Angst? Denn Angst spielt in Ihrem Buch eine große Rolle – allerdings nur bei den Woken, die etwa Angst vor dem Klimakollaps haben. Was ist mit der Angst vor Migration, mit der auch bestimmte Parteien arbeiten?

Die gibt es natürlich. Der Punkt ist nur: Die Migrationsangst kommt in den Medien so gut wie nicht vor. Ganz im Gegenteil: Wer den Islamismus als Problem benennt, gilt schnell als rechtsextrem – als Volksverhetzer. Insofern werden Ängste asymmetrisch ernst genommen. Die entscheidende Frage ist: Wie werden Ängste thematisiert und wie werden sie instrumentalisiert? Der Klimawandel zum Beispiel wird politisch genutzt, um massiv in das Leben der Menschen einzugreifen. Daran besteht für mich kein Zweifel.

Norbert Bolz: „Es gibt sehr gebildete Menschen, die dennoch irre dumm sind. Mit denen zu reden ist nicht nur nutzlos, sondern sogar gefährlich.“
Norbert Bolz: „Es gibt sehr gebildete Menschen, die dennoch irre dumm sind. Mit denen zu reden ist nicht nur nutzlos, sondern sogar gefährlich.“Anikka Bauer

Wie passt Ihr Anspruch, sich wieder auf Augenhöhe auszutauschen, eigentlich damit zusammen, dass Sie die Woken mit den Taliban vergleichen oder Politik als „die Müllkippe sozialer Systeme“ bezeichnen? Hilft so ein Vokabular beim Versuch, in einen Diskurs zu treten?

Da liegt ein Missverständnis vor. Ich behaupte nirgends, dass man mit den Woken diskutieren sollte. Das wäre völliger Unsinn. Reine Zeitverschwendung. Kennen Sie den Text von Dietrich Bonhoeffer „Von der Dummheit“? Es gibt sehr gebildete Menschen, die dennoch irre dumm sind. Mit denen zu reden ist nicht nur nutzlos, sondern sogar gefährlich. Und genau damit haben wir es zu tun.

Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal zurückblicken: War Ihre Grundüberzeugung immer schon konservativ geprägt?

Helmut Schmidt – das war der Politiker, mit dem ich mich wirklich identifizieren konnte. Da habe ich gedacht: Der soll für mich Politik machen.

Worauf ich hinauswill: Sie schreiben in Ihrem Buch: „Ein normaler Mensch weiß, wer er ist, und muss sich nicht auf die Suche nach seiner Identität begeben.“ Sind alle Menschen, die ihre Haltung oder politische Einstellung im Laufe ihres Lebens hinterfragen oder verändern, für Sie unnormal?Ab einem gewissen Alter ist man nicht nur für sein Aussehen verantwortlich, sondern auch für seine Identität. Ich bin nach wie vor der Überzeugung: Wenn man jung ist, ist man links. Man übernimmt keine Verantwortung, hat keine Familie, keinen Job. Aber spätestens mit 40 sollte man wissen, wer man ist – und wo man politisch steht.

Norbert Bolz: Zurück zur Normalität. LangenMüller Verlag, München 2025. 256 Seiten, 24 Euro

Berliner-zeitung

Berliner-zeitung

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow